Biogas aus Nesselnbach
Ich arbeite seit 5 Jahren bei der Stadt Baden und der Regionalwerke AG Baden (RWB). Dabei habe ich mich auch mit Biogas beschäftigt und darüber berichtet. Ich wusste auch, dass die RWB in Nesselnbach viel Biogas produziert. Aber ich hatte die Anlage bisher nie gesehen. Das hat sich kürzlich geändert und ich möchte Euch auf die Besichtigung in Nesselnbach mitnehmen.
Die Reise von Baden nach Nesselnbach ist nicht weit. Sogar das Gasnetz der RWB reicht bis dort. Dies hat den Vorteil, dass das produzierte Biogas direkt ins regionale Gasnetz eingespeist werden kann. Wer sich das übliche Bild von landwirtschaftlichen Biogasanlagen zum Beispiel entlang von Autobahnen gewohnt ist, wird in Nesselnbach enttäuscht sein. Da sieht es ganz anders aus und der eigentliche Ort des Geschehens, wo die Biomasse von Bakterien zu Gas umgewandelt wird, liegt unsichtbar unter dem Boden.
Recycling-Areal mit drei Teilen
Als ich das Areal betreten habe, sah ich erst nur ein unscheinbares Bürogebäude und einen grossen Platz mit verschiedenen grünen und braunen Haufen. Wo gibt es denn hier Biogas?
Der grosse Platz ist an einem Freitagnachmittag schön aufgeräumt und gehört zur Kompostieranlage des Familienunternehmens Hufschmied. Hier landen gemäss Informationen des Geschäftsführers ein Drittel aller Grünabfälle aus dem Kanton Aargau.
Das vermeintliche Bürogebäude gehört der Recycling Energie AG. Auf der Rückseite des Bürogebäudes liefern Lastwagen pro Jahr ca. 120’000 Tonnen Lebensmittelabfälle an. Daraus produziert das Familienunternehmen in der grössten Anlage der Schweiz sehr viel Rohgas.
Auf der Rückseite des Areals befindet sich ein 15 Meter hohes Metallgerüst. Dafür ist die RWB zuständig. Im Inneren wird das Rohgas zum wertvollen Biogas aufbereitet. Pro Tag können bis zu 600 Kubikmeter Biogas ins Gasnetz eingespeist werden. Doch was bedeuten die beiden weissen Silos dahinter? Es steht CO2 drauf. Und wir werden es während des Besuchs erfahren.
Kompostieranlage
Das Grüngut der meisten Gemeinden wird aus unerklärlichen Gründen jeweils zwischen Montag und Mittwoch angeliefert. Den Rest der Woche ist es ruhiger auf dem Areal. Dann kann das Grüngut auf dem grossen Platz sortiert und verwertet werden. Und es ermöglicht mir eine fast ungestörte Besichtigung.
Das Grüngut wird an einer überdachten Ecke angeliefert. Die Haufen sind von Weitem unscheinbar. Bei der näheren Betrachtung fällt mir auf, dass da nicht nur Grünes drin ist. Es gibt auch grosse Holzstücke und leider viele Plastikstücke. Das sei ärgerlich und trotz viel Informations- und Sensibilisierungsarbeit nicht ganz zu vermeiden. Die Grünguthaufen müssen also aufwändig sortiert werden. Dies geschieht zum grössten Teil von Hand, teilweise aber auch mechanisch. Der zurückbleibende Abfall muss kostenpflichtig in der Kehrichtverbrennungsanlage entsorgt werden und belastet die Wirtschaftlichkeit der Kompostierung.
Das aussortierte Holz – es werden auch riesige Baumstrünke angeliefert – wird zu Hackschnitzel verarbeitet und zum Heizen verwendet. Die Holzheizzentrale der RWB in Dättwil wird neben Hackschnitzeln aus dem Badener Wald mit Holz aus Nesselnbach befeuert. Dies führt dann im Winter zu warmen Wohnungen und Geschäftsräumen in Dättwil.
Die Kompostierung des verbleibenden Grünguts erfolgt anschliessend in einem Gebäude bzw. einer riesigen Halle. Darin befinden sich 8 Boxen von ca. 5m Breite und 3m Höhe. Das Grüngut wird vollelektronisch mit einem Förderband in die Boxen gefüllt. Sobald eine Box voll ist, verbleibt das Gärgut 4-6 Wochen darin und wird zu Kompost. Dabei werden Temperatur und Feuchtigkeit dauernd kontrolliert und das Gärgut mit einem grossen Mixer durchmischt, um eine optimale Vergärung sicherzustellen.
Wir besichtigen eine offene Boxe, bei welcher der Kompost herausgeholt wird. Beim genauen Hinsehen mit dem Geschäftsführer sehen wir, dass das Produkt noch ziemlich grob ist und nicht wie Gartenkompost aussieht. Der Experte verrät uns, dass es sich um noch nicht reifen Kompost handelt. Dieser werde in der Landwirtschaft eingesetzt und sei das Hauptprodukt der Anlage. Um den wertvollen und erträglicheren Gartenkompost zu erhalten, müsste das Gärgut nochmals 1-2 Monate länger in der Box verbleiben. Dazu fehlt im Sommerhalbjahr der Platz. Im Winter, wenn weniger Material angeliefert wird, kann Gartenkompost produziert werden. Deshalb wird nur ein kleiner Teil der Menge zu Gartenkompost verarbeitet. Dieser kann für ein Entgelt auf dem Areal direkt bezogen werden. Oder er befindet sich im Produkt, welches ich im Gartencenter kaufen kann.
Die flüssigen Anteile aus der Grüngutverwertung gehen rüber in die Biogasproduktion des Nachbarn.
Verwertung von Lebensmittelabfällen und Produktion von Rohgas
Der Geschäftsführer der Recycling Energie AG hat früher mit Lebensmittelabfällen aus der Gastronomie eine Schweinmast betrieben. Als Folge vom Ausbruch von BSE (Bovine spongiforme Enzephalopathie, deutsch: „bei Rindern auftretende schwammartige Veränderung von Gehirnsubstanz“) in den 90er Jahren, wurde die Verfütterung von Abfällen an Tiere verboten.
Damit die Lebensmittelabfälle weiterhin verwertet werden konnten, wurde die Recycling Energie AG gegründet. Und geht schon bald in neue Hände über. Ich werde vom Neffen Patrick und designierten Geschäftsführer durch die Produktionskette geführt. Weil es laut ist, muss er uns mit starker Stimme informieren.
Die Logistik wird mit eigenen Lastwagen bewerkstelligt. So werden noch immer Essensabfälle aus der Gastronomie (rund 20 % der in der Schweiz anfallenden Menge), aber mittlerweile auch Lebensmittelabfälle von diversen Grossverteilern abgeholt. Es sind insgesamt ca. 120’000 Tonnen Bioabfälle pro Jahr. Auch hier wird zerkleinert und sortiert und erst dann der Anlage zugeführt. Eben erst wurde eine ganze Lieferung Orangen vom Flughafen abgeholt. Offenbar hat ein Teil der Ladung beim Lufttransport zu faulen begonnen. Deshalb musste die gesamte Ladung entsorgt werden. Ein Verlust an wertvollen Lebensmitteln! Zum Glück ist noch eine Verarbeitung zu Biogas möglich.
Auch hier muss Plastik mit grossem Aufwand rausgefiltert werden. Den das Restprodukt am Ende der Biogasproduktion kann als Flüssigdünger in der Landwirtschaft verwendet und somit in den Kreislauf zurückgeführt werden. Ab da ist Mikroplastik gefährlich und unerwünscht!
Ein Bereich der Anlieferung sieht fast aus wie eine Destillerie. Und das ist nicht ganz falsch. Denn neben Essensresten und Gemüseabfällen wird auch altes Frittieröl verwertet. Daraus wird Biodiesel hergestellt. Unter anderem kann damit die eigene Logistik mit etlichen Lastwagen CO2-neutral und nachhaltig betrieben werden.
Bevor die Biosuppe in den Reaktor kommt, muss diese hygenisiert, d.h. eine Stunde auf 70°C erhitzt, werden. Das ist Vorschrift und stellt sicher das keine ungewollten Keime und Viren in den Prozess gelangen.
Nun wird es spannend. Wir gehen die Treppe runter in den Untergrund. Viel ist nicht zu sehen. Aber die Leitungen, die merkwürdigen Geräusche und die riesigen orangen Wände verraten, dass hier etwas Wichtiges vor sich geht. Die Bioabfälle gären hier ca. 4 Wochen und werden von Milliarden von Bakterien abgebaut. Es entsteht das begehrte Rohgas.
Aber die Ruhe unter Tage trügt. Der Abbauprozess der Bakterien ist ein labiles Gleichgewicht, welches zeitlich variiert und vom Input in die Anlage abhängt. Der Energiegehalt und die Zusammensetzung des Inhalts bestimmen, wie viel Biogas produziert werden kann. Unserer Führer verrät uns, dass die Bakterien ähnlich funktionieren wie wir. Wenn ich zu viel oder das Falsche esse wird mir übel. So geht es auch den Bakterien. Im schlimmsten Fall sterben diese und der ganze Reaktor muss entleert werden. Dies würde zum längeren Stillstand der Anlage führen.
Man habe zu Beginn viel Lehrgeld bezahlen müssen, verrät uns Patrick. Aber mittlerweile habe man den Prozess im Griff. Dazu braucht es stete Überwachung, auch in der Nacht. Das können die Mitarbeitenden zwar meistens zu Hause tun, aber müssen dazu jede Stunde den Anlagezustand überprüfen. Je nach Grad der Veränderung im Reaktor, müsse man vor Ort eingreifen.
Nach der langen Zeit im Reaktor gibt es Rohgas und flüssigen Dünger. Ein Teil davon geht wieder in den Reaktor und durchläuft einen weiteren Zyklus.
Umwandlung zu Biogas und Abscheidung von CO2
Was ist nun Rohgas? Und wie wird daraus Biogas zum Heizen? Biogas besteht zu mindestens 96 % aus Methan (CH4), das ist auch beim normalen Erdgas so. Das Rohgas aus dem Reaktor der Recycling Energie AG besteht allerdings nur zu rund 60 % aus Methan. Der Rest besteht vorwiegend aus CO2. Dieses muss zuerst entfernt werden. Weitaus problematischer sind aber andere Spurengase. Verschiedene Schwefelverbindungen sind korrosiv und würden das Gasnetz beschädigen. Deshalb müssen Sie ebenfalls entfernt werden.
Nun sind wir im Metallgerüst der RWB, wo diese Reinigung und Aufbereitung zu Biogas stattfindet. Viel sieht man auch hier nicht. Es gibt viele Leitungen, welche mit Biogas, Rohgas oder CO2 beschriftet sind. Die eigentliche Aufbereitung findet innerhalb von Anlageteilen statt und ist nicht sichtbar. Doch ich glaube gerne, was unser Führer uns erklärt.
Beispielsweise wird das CO2 in einem Polymerfilter abgetrennt. Dabei macht man sich die unterschiedlichen Grössen der Gasmoleküle zu Nutze. Erst nach mehreren Durchläufen ist das CO2 im genügenden Masse entfernt. Doch wo geht es hin?
Bei praktisch allen Biogasanlagen weltweit geht das CO2 in die Atmosphäre. Das ist auch in der Schweiz erlaubt. Aber ideal ist das nicht. Wenn wir also bis spätestens 2050 netto kein CO2 mehr ausstossen wollen, müssen wir auch dieses CO2 bei der Biogasproduktion irgendwie zurückbehalten. Die dazu notwendige Pionierarbeit wurde von der RWB und der Recycling Energie AG in Nesselbach bereits geleistet.
Biogas
Das gemeinsame Tochterunternehmen CO2 Energie AG hat die Anlage erweitert. Das abgeschiedene CO2 wird abgefangen, gereinigt und anschliessend unter hohem Druck verflüssigt. Insbesondere die Reinigung ist aufwändig. Dazu sind Aktivkohlefilter, welche regelmässig ausgewechselt werden müssen, notwendig. Aber wozu die Reinigung?
Das CO2 wird zu Lebensmittelqualität aufbereitet und wird zum Beispiel anschliessend in der Getränkeindustrie für die Herstellung von Kohlensäure verwendet. Kaum zu glauben, dass da bisher vor allem im Ausland Erdgas verbrannt wurde, nur um CO2 (eigentlich ein Abgas) zu erzeugen für die Lebensmittelindustrie. In Nesselnbach können aktuell rund 3’000 Tonnen CO2 zurückbehalten und weiterverwendet werden. Viel Know-how und ein grosses Potenzial, welche hoffentlich bald bei allen Biogasanlagen eingesetzt wird.
Biogas in Baden und Umgebung
Das wertvollste Produkt aus Nesselnbach bleibt das Biogas. Im Jahr 2023 konnten über 38 Gigawattsunden (GWh) produziert werden. Gleichzeitig hat die RWB im ganzen Versorgungsgebiet 286 GWh Gas geliefert. Das Biogas aus Nesselnbach hat also mit rund 13 % dazu beigetragen und Erdgas ersetzt. Weitere Steigerungen der Produktionskapazitäten in Nesselnbach und anderen Orten sind geplant. Bis 2030 soll die Gesamtproduktion (2023: 42 GWh) rund 100 GWh betragen.
Damit habe ich mich schon öfters beschäftigt. Nun kenne ich auch die Hintergründe und verstehe, was alles passiert, bevor wir das Biogas in der Leitung haben.
Spannende Zusammenfassung Christian. Ich trage zwar Mitverantwortung für das Entstehen dieser Anlagen, habe sie aber noch nie besucht.
Lieber Werner
Deine Mitverantwortung hat sich gelohnt! Und eine Besichtigung kann ich wärmstens empfehlen. Melde Dich doch mal bei Philippe Lehmann (RWB). Ich konnte mich auch relativ kurzfristig einer Führung anschliessen.