Auf dem Dach der Fluhmattstrasse 37 ist Tiefschlaf angesagt: Fünfhundert bis tausend Fledermäuse verbringen den Winter in einer frostsicheren Metallbox, und das seit 1994. Eine Erfolgsgeschichte aus dem Kappelerhof.

„Angefangen hat alles mit einem Notfall vor bald dreissig Jahren“, erklärt Andres Beck, langjähriger Fledermaus-Beauftragter des Kantons Aargau. Wir stehen auf dem Flachdach des 15-stöckigen Hochhauses an der Fluhmattstrasse im Kappelerhof. Auf zwei Seiten grenzt es an Wald, und südwärts bietet sich ein atemberaubendes Panorama bis zu den Lägern. Doch wir sind nicht wegen der Aussicht hier, sondern wegen einer grossen Metallkiste, die einige Zentimeter über den Dachrand hinausragt. Andres Beck erinnert sich: „Im Winter 1994 wurde die Fassade dieses Gebäudes saniert. Die Handwerker staunten nicht schlecht, als beim Entfernen der alten Gebäudeteile Hunderte Fledermäuse zum Vorschein kamen. Die Grossen Abendsegler hatten einen Rollladen-Kasten als Winterquartier gewählt. Wie gut, dass die Verantwortlichen richtig reagierten und den Fund umgehend meldeten!“

KastenDer Einflugschlitz befindet sich am Kastenboden ausserhalb der Dachkante. Die Drähte hindern hungrige Krähen am Auflauern (Bild: Stadtökologie).

 

Ein Prototyp auf Erfolgskurs

Doch die Meldung forderte den Fledermausschützer. Einerseits galt es, die lethargischen Tiere schnellstmöglich von der Baustelle zu entfernen und für den Rest des Winterschlafs umzuquartieren. Das war das kleinere Problem. Die grössere Herausforderung stellte der kommende Winter, wenn die Fledermäuse gewohnheitsmässig zurückkehren und am sanierten Gebäude quasi vor „verschlossener Türe“ stehen würden. Da musste Ersatz her: ein Fledermauskasten auf dem Dach. Andres Beck: „Kaufen konnte man das damals nicht, es gab nicht einmal eine Bauanleitung dafür. Also mussten wir einen solchen selber entwickeln. Obs funktionieren würde, war unsicher. Unsere Erleichterung ein Jahr später war gross: der Kasten wurde von den Tieren angenommen. Der Prototyp wurde seither laufend verbessert und beherbergt mittlerweile in vielen anderen Städten Fledermäuse.“

Lothar und die Wohnungsnot

Grosse Abendsegler überwintern auch in grossen Baumhöhlen. Sturm Lothar traf sie hart: Am 26. Dezember 1999 knickten auf einer Fläche von umgerechnet 173 Fussballfeldern unzählige Badener Waldbäume wie Zündhölzer. Viele winterschlafende Abendsegler starben in ihren Verstecken. Hunderte überlebende, teilweise verletzte Tiere waren obdachlos und suchten Zuflucht im Kasten an der Fluhmattstrasse. Um solche dramatischen Überbelegungen in Zukunft zu vermeiden, wurde im Jahr 2000 ein grösserer Kasten installiert. Seither reicht seine Kapazität, um das Nachwachsen von Höhlenbäumen im Wald zu überbrücken.

Abendsegler-Gr.-Baden-170303-21Dicht an dicht und kopfunter krallen sich Grosse Abendsegler an den rauhen Holzwänden des Kastens fest (Bild: oekovision GmbH, 2017).

 

Rappelt’s in der Kiste?

So, nun lass uns aber einen Blick hineinwerfen! Nach dem Metalldeckel entfernt Andres Beck dicke Kokosmatten und Holzleisten. Unter dem etwas trüben Plexiglas sind kaum Bewegungen wahrzunehmen. Da hängen sie aber: kleine, braune, feinpelzige Körper, festgekrallt an mehrreihigen rauhen Holzwänden. Zu Dutzenden, Hunderten, nicht zu zählen – der Fachmann schätzt 500 bis 1000 Tiere. Ihre Körpertemperatur beträgt um die 5 Grad, Herz und Atmung sind aufs Minimum reduziert. Den Körper nach mehreren Monaten Lethargie und Fasten wieder hochzufahren im Frühling, ist eine physiologische Meisterleistung. Also wollen wir nicht weiter stören und schliessen die Behausung der Abendsegler rasch wieder.

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Steckbrief Grosser Abendsegler (Nyctalus noctula)

Die Grossen Abendsegler sind die grössten Fledermäuse in Baden.

schmalflügelig, schnellfliegend
Spannweite: 32-40 cm
Gewicht: 19-40 g
Beute: Köcher- und Eintagsfliegen, Käfer und andere grössere Insekten

Mehrheitlich Wintergast aus Nord-Osteuropa

Beobachtungstipp: an milden Septemberabenden nach Sonnenuntergang sind Abendsegler von der Schiefen Brücke aus gut zu beobachten. Sie fliegen wendig und schnell im freien Luftraum über der Limmat. Ein Bat-Detektor macht die Ultraschallrufe der Fledermäuse hörbar. Bat-Detektor ausleihen

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Titelbild: Andres Beck zeigt SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis die winterschlafenden Abendsegler (Bild: Stadtökologie).

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