“Die Jungen holen uns vom Sofa runter” – Eine Lesung zum Klima
Im Selbstversuch begab sich die Familie Pinzler-Wessel auf den Weg, ein Jahr lang umweltbewusster zu leben und ihren ökologischen Fussabdruck zu verringern. Entstanden ist daraus das Buch “Vier fürs Klima”, zu welchem Günther Wessel am 6. Juni 2019 in der Stadtbibliothek Baden eine Lesung hielt.
“Eigentlich begann damals alles mit unserer Tochter, als sie eines Tages mit der Hausaufgabe kam, wir müssten unseren Klima-Fussabdruck berechnen.” Das bestürzende Resultat und die darauffolgenden Massnahmen bewegten eine Vierköpfige Familie dazu ihre Erlebnisse und gesammelten Erfahrungen während eines Jahres festzuhalten und in ein Buch zu verwandeln: Vier fürs Klima. Worum es dabei geht erzählt der Co-Autor und Vater, Günther Wessel, am 6. Juni in der Stadtbibliothek Baden.
Lebensnah führen uns Günther Wessel und seine Familie in Vier fürs Klima an das wohl brisanteste Thema unserer Zeit heran: den Umgang mit der Klimaerwärmung. Abgesehen von zwei, drei abtrünnigen Nasen hat der Rest von uns längst die brodelnde Dringlichkeit gerochen. Während unsere Elite in Politik und Wirtschaft diskutiert, verhandelt und sich darin im Interessenvertretungswettkampf verliert, gehen die Jungen auf die Strasse, demonstrieren und verlangen deren unverzügliche Bereitschaft zur Handlung. “Die Jungen holen uns vom Sofa runter”, sagt Günther Wessel, der die Aktionen dieser Generation sehr unterstützt, wenngleich er anfügt, dass es nicht bei jeder Demonstration nötig ist, “wenn ich da so als Alter rumhänge”. Dennoch können wir alle unseren Beitrag leisten, unseren Fähigkeiten und unserem Wirkungsfeld entsprechend. Dass sich dies jedoch durchaus als Schwierig herausstellt, damit sah sich auch die Familie Pinzler-Wessel konfrontiert und die kleine Frage, was wir denn tun können, wird im Schatten der unaufhörlich wachsenden Klimadebatte zur scheinbar herkulischen Aufgabe.
Schritt für Schritt vorwärts
Gerade deshalb entpuppt sich die Lektüre Vier fürs Klima als unaufdringlicher Ratgeber, denn die Familie sah sich zu Beginn auch in der Ohnmacht gefangen, wo denn zu beginnen sei. Nach vielen Diskussionen fiel der Entschluss als erstes einen Energieberater anzufragen. In Deutschland ist dies eine staatlich offerierte Dienstleistung, erläutert Wessel: “Dabei kam der Berater vorbei und schaut sich den gesamten Haushalt an, wonach wir einen sehr umfassenden Bericht mit diversen Ausführungen erhielten”. Dieser Entschluss stellte sich als hilfreichen Start heraus und gab somit den Anstoss eines nach dem anderen anzugehen; Fleisch kaufen oder nicht, Ferien im Ausland oder im Inland, mit dem Auto in die Stadt oder doch besser mit dem Velo. Wichtig sei dabei, betont Wessel, nicht alles aufs Mal zu wollen, sondern Schritt für Schritt vorzuschreiten.
Inzwischen hat die Familie ihr Leben nachhaltig verändert und verfolgt nach wie vor weitere Ziele auf dem Weg zum CO2 neutralen Leben. “Es ist nicht so wie eine Diät. Klar, wir haben während eines Jahres im Selbstversuch gestartet, aber inzwischen ist es zu unserem Alltag geworden und es geht immer weiter”, sagt der Co-Autor drei Jahre später. Inzwischen hat die Familie ihr Auto verkauft, Tochter Franziska beteiligt sich aktiv in der Klimadebatte und Sohn Jakob besucht unteranderem Schulen zu Aufklärungszwecken. Die Reise geht weiter und auch wenn es noch viel zu tun gibt, so glaubt Wessel, können wir auch in alltagsübergeordneten Bereichen Einfluss nehmen.
“Leute passen sich an, die sind nicht so dumm”
“Es gibt natürlich Bereiche da müssten staatliche Massnahmen ergriffen werden”, sagt Wessel dazu und denkt dabei an Verkehr. Denn während zum Beispiel der Zugverkehr sehr teuer ist, zahlen wir heute so wenig wie noch nie für private Flüge. “Das sollte umgekehrt sein. Man müsste dahin kommen, wo umweltschädliches bestraft und umweltfreundliches belohnt wird”. Ebenso müssten viele Bereiche der Politik und Wirtschaft vermehrt hinterfragt und angegangen werden. “Wenn wir die Telefonentwicklung anschauen, wo sehen wir heute noch Landlinien? Also, die sind immer seltener geworden und inzwischen ist die Mobiltelefonie überall verbreitet”, nennt Wessel als weiteres Beispiel, denn eigentlich würden sich Unternehmen umstellen, wenn sie dies müssen. “Aber manche Unternehmen werden gerettet, geschützt, andere lässt man Untergehen. Wieso?”, stellt der Autor die Frage rhetorisch, denn obwohl es immer Gründe wie die der Arbeitsplätze gebe, so gesteht Wessel uns Menschen mehr Kompetenz ein, als dies vielleicht in der öffentlichen Debatte dargestellt wird. “Auch, wenn etwas Anderes kommt, die Leute passen sich an, die sind nicht so dumm”.
Im Moment beschäftigen den Autoren und Journalisten auch vermehrt solche Themen, politische Themen. Insbesondere die Frage, wie viel wir denn für private Zwecke Autofahren? “Wenn jeder und jede sich fragen würde ob er oder sie, das eigene Auto wirklich braucht und wirklich ehrlich mit sich ist, dann könnte bestimmt die Hälfte dies mit ‘Nein’ beantworten”. Dabei sei dies vor allem zutreffend für Städte, sagt Wessel, “also, ich sag jetzt mal in europäischen Städten, da braucht es keine Autos”. Dort könnte dieser Verkehrsanteil massiv reduziert werden, vorausgesetzt, die Infrastruktur schafft genügend Alternativen, und dies geschieht bereits vielerorts.
Es sind somit nicht nur Ansprüche an uns selbst, sondern auch diejenigen, die wir an unsere politische Repräsentation und unsere Produkthersteller und Dienstleister stellen, die etwas bewirken können. Nur, wie uns die Familie Pinzler-Wessel zeigt, nicht alles aufs Mal, sondern Schritt für Schritt.
Zum Autor
Badener Umweltwochen 2019
Übrigens dazu: Energieberatung gibt es auch bei uns. Wer in Baden, wie die Familie Pinzler-Wessel, damit beginnen möchte nachhaltiger zu leben, findet dazu im umweltblog.baden.ch Hinweise und Links im Artikel „Das Energiekonzept 2017 – 2026 der Stadt Baden„.