
SwissFlax – Slow Fashion: Schweizer Naturfaser aus dem Emmental
Weltweit wird der Bedarf an Fasern für Textilien steigen. Dies geht mit dem masslosen Konsum an Textilien einher. In zeitlich sehr kurzen Abständen produzieren Fast Fashion-Modemarken neue Trends. Designer-Marken fluten den Markt und rund ein Drittel der gekauften Kleider werden gar nie getragen und landen so im Müll. Echtes Recycling findet kaum statt. Eine mögliche Lösung präsentiert Gastautor Dominik Füglistaller mit SwissFlax.
Die Fahrt ins “blaue” Emmental
1968 fand zum letzten Mal in der Schweiz ein internationaler Leinenkongress statt. Die anschliessenden Ölkrisen der 70er Jahre, die damit verbundene Wirtschaftskrise und die wachsenden Überkapazitäten machten der gesamten europäischen Textilindustrie zu schaffen. Folglich verschob sich diese weg von Europa und die Flachsproduktion, die auch in der Schweiz weit verbreitet war, verschwand zusehends von den Äckern. 50 Jahre später feiert der Flachs im Emmental eine kleine Renaissance und wird neu entdeckt: Findige Landwirte säen auf rund sechs Hektaren die blaublühende Faserpflanze an. Während sich die Ernte und die Verarbeitung zum fertigen Stoff vor Herausforderungen gestellt sieht, lebt die Pflanze gleichwohl von der Vision vom Hemd aus einheimischer Herkunft.
Flachs-Fasern und Nahrungsmittel auf demselben Feld
Ausgesät werden rund 1800 Körner auf einen Quadratmeter, das ist ziemlich viel. Weizen vergleichsweise braucht rund 200 Körner. So werden die Flachspflanzen sehr fein. Der sogenannte Faserlein ist dabei ziemlich anspruchslos und braucht neben einer Unkrautbekämpfung nur wenig Dünger. Wenn die Pflanzen im vollen Wachstum sind, können sie 5-7 cm am Tag wachsen! Dies ist eine kritische Phase. Denn dann braucht es nicht viel und die Pflanze knickt bei Gewitter oder starkem Wind sehr leicht. Dies kann ein ganzes Feld umlegen, was die Ernte des wertvollen Strohes gefährdet.
Vom Flachs zum Garn
Überlebt sie dies aber unbeschadet, ist die Pflanze reif für die Ernte. Dafür fahren in der Schweiz einzigartige Maschinen aufs Feld. Denn die Flachspflanze wird nicht geschnitten, sondern samt Wurzel aus dem Boden gezupft und schön in der Reihe abgelegt. Anschliessend erfolgt die sogenannte Röste. Ein Prozess, bei dem die Klebsubstanz zwischen Faser und Holzteil abgebaut wird, so dass der Flachs gebrochen werden kann. Dies ist ein rein mechanischer Prozess. Viele kennen ihn noch als «Brächete». Der enthaltene Schwungflachs fühlt sich dabei an wie Pferdehaar. Aus diesem wird das Leinengarn gesponnen und weiter in Textilien verarbeitet.
Den Prozess können Sie in diesem Video ansehen.

Ein gesunder Samen
Nicht nur die Gewinnung der Faser ist sehr interessant. Es können ebenfalls die Samen geerntet werden. Der Faserlein produziert auch solche Samen, jedoch nicht dieselbe Menge wie der Öltyp derselben Pflanze. Leinsamen gelten als sehr gesund, besitzen einen hohen Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren und sind verdauungsfördernd. Beim Anbau von Faserlein kann auf einer Hektare mit 500-800kg Ertrag gerechnet werden. Die Ernte der Samen ist aber nicht ganz einfach. Da der Faserlein aber ausgezupft und nicht geschnitten wird, werden spezielle Maschinen dazu benötigt.


Schweizer Faser dank der IG Niutex und der SwissFlax GmbH
Die Naturfasern, welche im Emmental wachsen, liegen der folgenden Idee zugrunde: Von den weltweit produzierten Textilfasern sind rund 50% Naturfasern. Davon ist ein Grossteil aus der Baumwolle. Jedoch wirft der Baumwollanbau immer mehr ökologische wie auch wirtschaftliche Fragen auf. Deshalb wurde im Jahr 2010 die IG Niutex gegründet. Der Vorstand setzt sich aus Produzenten, Wissenschaftlern sowie Textilverarbeitenden zusammen.
Eine gesamte Wertschöpfung kommt zurück
Die Interessengemeinschaft hat zum Ziel, die hiesige Naturfaserproduktion zu stärken. In Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft, der Industrie und der Gesellschaft soll eine ganzheitliche Wertschöpfungskette in der Schweiz etabliert werden. Mit der Gründung der SwissFlax GmbH im Jahr 2014 wurde ein erster Schritt in diese Richtung getan. Die SwissFlax hat sich zum Ziel gesetzt, die Wertschöpfungskette für Schweizer Flachs wiederaufzubauen und industriell zu betreiben. Sie sieht sich somit als Bindeglied zwischen den Schweizer Flachs-Bauern und der Textilindustrie.

Slow Fashion mit Schweizer Faser
Vom Anbau bis zum fertigen Strick-Pullover dauert es gut ein Jahr. Der Flachs wird im April ausgesät, im Juli gezupft und im August zu Ballen gepresst. Danach unternehmen die Ballen eine abenteuerliche Fahrt nach Holland, wo sie im Oktober aufgeschlossen werden. Weiter geht der «Schwungflachs» nach Litauen und das Garn kommt Anfang Jahr zurück in die Schweiz. Mit diesem Garn wird in der Schweiz gestrickt oder gewoben. Im März/April des Folgejahres entstehen die ersten Textilen. So können z.B. bei der Traxler AG unter dem Label „erfolg“ schöne Strickwaren, bei der Lanz-Anliker AG Schwinghosen oder Taschen oder bei der Rigotex AG Küchentüechli aus dem Schweizer Rohstoff bezogen werden.




EXKURS: EUROPÄISCHER FLACHSMARKT
Europa ist mit 80% der weltgrösste Produzent von Flachsfaser. Im Jahr 2016 waren die Anbaufläche rund 105’000 Hektaren gross. Die Hauptanbauländer dabei sind Frankreich (87’940 ha), Belgien (15’100 ha) und die Niederlande (2’420 ha). Es erstaunt deshalb nicht, dass auch Europa der grösste Flachsexporteur ist. 2013 wurden 218’461 Tonnen Flachsfaser exportiert. Grösster Abnehmer ist dabei China mit einem Anteil von 70-80%. Dort wird der Flachs zu Garn verarbeitet und landet so grösstenteils wieder in unseren Läden.
Bei den Flachsfasern unterscheidet man zwischen Lang- und Kurzfasern. Mit der Langfaser kann die grösste Wertschöpfung erzielt werden. Sie wird vor allem im Textilbereich gebraucht. Trotzdem könnte in naher Zukunft die Kurzfaser immer wertvoller werden. Ihr Einsatzspektrum war grösstenteils in der Zellstoffindustrie. Mittlerweile wurde das Potenzial erkannt und sie wird vermehrt in sogenannten Verbundwerkstoffen eingesetzt.