Das Rüebli aus Globalistan: Ein Versuch, regional und saisonal einzukaufen.
Was Migros, Coop und Co. uns Konsumierenden in ihren Regalen vorlegen, soll unser Vertrauen in regional verarbeitete Produkte stärken. Dabei sind die Mengen an Regional-Labels aber genauso überbordend wie das damit beworbene Angebot an Lebensmitteln. Wem dies zu mühsam wird, gibt auf oder weicht aus, so wie ich. Meine Alternative fiel dabei auf den Badener Wochenmarkt.
Ein Rüebli aus der Region ist an sich auch saisonal, nicht? Schliesslich sind wir hier im Rüebliland und auch wenn das Wurzelgemüse einen Winter lang gelagert werden kann, dann ist es trotzdem noch von hier und damit immer noch nachhaltig, oder? Bei Frischgemüse noch klarer: Spinat, Zuchetti, Gurken, Spargeln, Salate sind doch sicherlich saisonal, wenn sie in der Region wachsen. Unsere Breitengrade ermöglichen es schliesslich nicht zu jeder Jahreszeit allen Gewächsen zu gedeihen. Will ich demnach saisonal und regional und damit nachhaltig einkaufen, reicht es, wenn regional drauf steht?
Die “Region” ist ein schwammiges Gebiet
Es sind doch immerhin 55 Regionallabels, schreibt der Schweizerische Konsumentenschutz im Bericht über Regionallabels von 2017. Und darin bemängelt er, dass bei einigen die Eingrenzung dessen, was unter “Region” verstanden wird, noch zu wünschen übrig lässt. Während einige Anbietende sicherlich bemüht sind, mehr Transparenz zu schaffen, so halten sich nicht alle an einheitliche Richtlinien. Das heisst, viele Angebote tummeln sich im Regionallabel-Dschungel, während wir Einkaufenden uns entscheiden müssen, welches nun tatsächlich alle Anforderungen erfüllt, die uns wichtig sind. Ich hätte mein Angebot gerne aus der Region, ganz einfach, weil ich dann glaube nachvollziehen zu können, woher etwas kommt, wer dahinter steckt, wie es angebaut oder aufgezogen wird und schliesslich zu mir gelangt. Und dann möchte ich diesen Informationen, wenn sie denn erhältlich sind, vertrauen können. Was, also, gibt mir dieses Vertrauen? Wie schafft es ein Label ethisch, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Werte zu vermitteln? Solche, wenn auch nicht alle diese Fragen stellen sich immerhin ein Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer beim Einkauf. Möglicherweise, helfen dabei regionale Herkunftsmarken, Gütesiegel und Labels, “das Bedürfnis nach einem überschau- und kontrollierbaren Markt” wiederzuspiegeln und schaffen es damit einen “Gegenpol zur globalisierten, intransparenten Wirtschaft und dem geschmacklichen „Einheitsbrei“ zu setzen”. So zumindest beurteilt dies der Konsumentenschutz.
Regionallabels folgen unterschiedlichen Richtlinien
Klar, die Regionalität setzt auf “Überschaubarkeit” im Gegensatz zum globalen Chrüsimüsi. Als Einkäufer bin ich auf der lokalen Ebene dennoch überfordert. Und zu Recht, denn der Konsumentenschutz berichtet, dass es zwar nationale Richtlinien gibt, darunter aber nicht alle vereint sind. Während sich zum Beispiel Produktelinien der “Schweizer Pärke”, Migros und regio.garantie daran halten und somit das “nationale Gütesiegel für echte Regionalprodukte” erhalten, so folgen Coop, Manor, Volg, Spar und Landi jeweils eigenen Richtlinien. Ohne gross in die Details zu gehen, kommt dabei Überraschendes zum Vorschein. Kein einziges Label verbietet den Import von Rohstoffen, die von ausserhalb der Region kommen – wo auch immer diese Region genau einzugrenzen ist. So kann ein verarbeitetes Produkt, wie ein Jogurt oder ein Cordonbleu, durchaus einen nicht-regionalen Anteil haben und dennoch als regional gekennzeichnet sein. Gleichermassen verhällt es sich bei Setzlingen, die meist auch aus dem Ausland kommen, wenn auch aus dem nahen. Da sind die Bio-Richtlinien manchmal sogar besser.
Letzlich erschliesst der Bericht des Konsumentenschutzes, dass obwohl erste, gute Ansätze bestehen, dennoch ein Wildwuchs drohe mit dem erwarteten Anstieg an Regionallabels. Sie fordern deshalb vorerst eine Vereinheitlichung und genauere Einhaltung folgender Punkte: Naturnahe Produktionsmethoden; Kurze Transportwege; Weniger importierte Zutaten; Regionale Hauptzutat; Klare Herkunftsangabe. Bis dem soweit ist, weiche ich als Konsument aus und versuche anderswo mein Glück.
Am Badener Wochenmarkt
Meine Wahl fällt auf den Badener Wochenmarkt, der sich jeden Samstagmorgen vom Schlossbergplatz bis ans Ende der Weiten Gasse erstreckt. Regelmässig besuche ich den Stand der Kessens vor der Fielmann Filiale. Die Familie betreibt ihren Anbau auf dem Brüederhof in Dällikon und bietet am Wochenmarkt Gemüse, Obst, Eier, Kräuter und anderes an. Alles Bio. Nicht alles vom eigenen Anbau, aber vieles aus derselben Umgebung. Falls dabei etwas unklar erscheint, wie etwa die Banane oder Avocado, einfach fragen. Heute frage ich jedoch zusätzlich, ob ich denn mal bei Ihnen vorbeischauen könnte im Betrieb, um ein längeres Gespräch über ihren Anbau und ihr Geschäft führen zu können? Samuel Kessens willigt ein und wir vereinbaren ein Treffen.
Besuch beim Brüederhof
Unweit von Baden in Dällikon liegt der Brüederhof der mit zwei Betrieben wirtschaftet. Ich besuche den Betrieb der Kessens, die auf 1,3 Hektaren Bio-Frischgemüse anbauen. Der junge Gemüsebauer Samuel teilt sich den Betrieb mit seiner Schwester Vera und seinem Vater Gerd, der wiederum seit 30 Jahren im Anbau tätig ist.
Ich reise mit dem Zug von Baden in weniger als zwanzig minuten bis Buchs-Dällikon, von wo der Hof in zehn Minuten zu Fuss erreichbar ist. Hier will ich abermals der Frage nachgehen: „Was heisst eigentlich regional und saisonal einkaufen?“. Obwohl schnell ersichtlich ist, dass dieser Betrieb in der Region liegt und nach Saison pflanzt und erntet, so verkaufen die Kessens am Wochenmarkt eben auch jene Banane oder Avocado.
Gerd erzählt mir auf der kurzen Fahrt vom Bahnhof, dass das Land auf dem sie anbauen dem Brüederhof gehört. Ein Familienbetrieb, der auch Milchwirtschaft betreibt, Eier, Fleisch und Lagergemüse anbietet und im Hofladen verkauft. Ebenso betreibt der Hof nun auch eine Biogasanlage.
Die Kessens hingegen bauen vor allem Frischgemüse an. Angekommen, treffe ich Samuel, der die Betriebsführung seit diesem Jahr mit seinem Vater Gerd und Schwester Vera teilt. Er ist in meinem Alter und arbeitet zusammen mit insgesamt neun Personen, wobei vier vollzeit angestellt sind.
Ich begleite Samuel vom Feld zurück zur Einfahrt des Gehöfts. Er bietet mir einen Kaffee an und wir setzen uns an einen Tisch vor dem mittleren Gewächshaus, oder Röhre, wie es auch genannt wird. Samuel erzählt mir vom Anbau und wir diskutieren über Bioanbau und Nachhaltigkeit.
Wie Samuel mir erklärt, bauen sie vor allem Frischgemüse an, also kein Lagergemüse, wie Kartoffeln oder Karotten, sondern Bohnen, Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Salate und weiteres. Ich sehe auch die eine oder andere Peperoni und Zuchetti, aber nicht alles, was ich am Stand am Wochenmarkt in Baden erhalte. Dies ist einfach zu erklären, sagt Samuel, denn sie führen auch Produkte im Sortiment, die von anderen Bauern in der Gegend kommen. So zum Beispiel Äpfel, Milch, Eier und Lagergemüse. Diese Zukäufe beruhen meist auf lang geführten Beziehungen zu diesen Produzierenden, sehr zuverlässig und auch flexibel im Umgang. Es bedarf bei diesen Abmachungen keiner fixen Verträge, da sie auch nicht auf grosse Mengen angewiesen sind, wie zum Beispiel eine Migros.
Diese Beziehungen gründen auf persönlichen Kontakten und langjährigem Vertrauen. Manchmal kauft er auch Produkte ein, auch solche aus dem ferneren Ausland. Diese erhält er zum Beispiel beim PicoBio Händler in Dietikon.
Ein Tüftler unter den Gemüslern
Seit kurzem organisiert er mit Gebana den Import von wilden Kapern aus Palästina, wobei er Wert darauf legt, dass dieser Handel möglichst direkt zwischen den Produzierenden und ihm abläuft. Gebana ermöglicht dies, da sie als einzige Dienstleisterin zwischen zwei Parteien agiert. Eine viel kürzere Warenkette, als bei internationalen Geschäften üblich. Einfach macht es dies jedoch nicht und solche Geschäfte sind auch sehr aufwändig. Aber Samuel ist ein Tüftler und experimentiert gerne.
Wir gehen in eine der Röhren, wo mir Samuel die Beete zeigt, in denen er mit Mischkulturen arbeitet. Die Idee dabei ist, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und dazu verteilt er diverse Pflanzen untereinander, die jeweils eine Funktion füreinander, oder zumindest nicht gegeneinander, übernehmen. Ebenso bedeckt er manche Beete mit Mulch: Pflanzenreste die anderswo übrig bleiben. Dieser übernimmt eine interessante Funktion zwischen dem gepflanzten Gemüse. Er hebt etwas Mulch auf und zeigt mir wie darunter nicht nur die Feuchtigkeit im Boden bestehen bleibt, sondern auch diverse, für den Boden wichtige Organismen darunter Unterschlupf finden. Es ergibt sich so ein nachhaltiger Kreislauf.
Am liebsten würde Samuel solche Konzepte noch weiter ausbauen, im Sinne einer Permakultur. Dies sei aber schwierig für den Anfang. Zurzeit sind sie auf Land eingepachtet und für ein längerfristiges Experiment sei wenig Platz vorhanden, sollte die Produktionsfläche in diesem Umfang umfunktioniert werden. Er bevorzuge es, dies erst zu versuchen, wenn er eigenes Land finde. Was sich aber auch als schwierig darstellt: Agrarland ist teuer.
Permakultur als Chance
Derweilen reden wir über die Schwierigkeit der Permakultur. Eigentlich müsste diese Form der Bewirtschaftung nicht nur nachhaltig, sondern auch auf weniger Raum viel ertragreicher sein als geschlossene Monokulturysteme. Denn die Permakultur baut auf einem dreidimensionalen Anbaumodell auf. Da funktionieren Pflanzenarten in komplexen Systemen, wobei sich fast naturnahe Ökosysteme ergeben, die sich grösstenteils selbst regulieren und weniger Eingriff benötigen. Aber trotzdem hat sich dies noch nicht durchgesetzt bei Schweizer Bauern. Wieso? Es kann sein, dass solche Prozesse einfach ihre Zeit brauchen. Dass Höfe, die sich über mehrere Generationen spezialisiert haben und in bestimmte Betriebsarten investiert haben, nicht von heute auf morgen umstellen können. Auch wäre es möglich, dass die Rahmenbedingungen, die unsere Politik setzt, alternative Landwirtschaft nicht fördert. Und vielleicht ist dieses Gedankengut einfach noch zu jung, zu frisch und unbekannt in den Köpfen der Anbauenden. Wie dem auch sei, ich finde es inspirierend Samuel zuzuhören und zu sehen, wie motiviert und mit Leidenschaft er seinem Beruf nachgeht.
Lieferservice ins Quartier
Es gäbe noch viel zu sagen, was ich jedoch mitnehme von diesem Besuch: Es ist sehr einfach an regionale und saisonale Produkte zu gelangen. Ich kann sogar direkt beziehen, wenn ich Samstagmorgens nicht früh aufstehen möchte, um an den Markt zu gehen. Denn eigentlich betreibt Samuel vor allem einen Lieferdienst, wobei sie Kisten für Kunden zusammenstellen und an deren Quartierdepots liefern. Sie beliefern dabei grösstenteils Richtung Zürich, viele in Zürich selbst. In Baden sind es grade mal zwei, drei Adressen und ein paar wenige Hauslieferungen. Aber der Service ist genial. Ein Quartierdepot ist ganz einfach ein Ort, das von Liegenschaften selbst zur Verfügung gestellt wird, sei dies in einem Hauseingang oder bei einem Unterstand, wo der Gemüsler wöchentlich Kisten hinstellt. Die Kisten können sehr individuell zusammengestellt im Abo benutzt werden. Inzwischen sind dies zwischen 500 und 600 Abos, sagt Samuel und das funktioniert tiptop. Er trägt zwar die Verantwortung, wenn etwas abhanden kommt oder beschädigt wird, aber dies passiere nur äusserst selten. Ebenso stellen sie die Kisten mit den Lebensmitteln zusammen, die vorhanden und verfügbar sind. Wenn also mal eine schlechte Gurkenernte anfällt und sie nur eine Gurke ins Kistchen tun, so stört dies niemanden, sie kompensieren Fehlendes mit anderen Produkten. Er habe noch nie einen Anruf gekriegt, bei dem sich jemand beklagt hätte, dass es von etwas gefehlt hätte.
Auch die Philosophie dahinter, nur regionales anzubieten, findet der Gemüsebauer sinnvoll. „Es macht uns authentisch und das schätzen die Leute“.
Die Bio-Avocado hat er inzwischen aus dem Sortiment rausgeworfen.
Das Ergebnis:
Entspricht nun der Betrieb der Kessens den Kriterien des Konsumentenschutzes?
– Naturnahe Produktionsmethoden? Ja, weil Bioanbau.
– Kurze Transportwege? Von Dällikon nach Baden sind es weniger als 15 Kilometer. Definitiv, ja.
– Weniger importierte Zutaten? Keine Frage, dieser Anteil ist bereits sehr klein.
– Regionale Hauptzutat? Das Regionale ist die Hauptzutat, da unverarbeitet.
– Klare Herkunftsangabe? Ja, Samuel ist zeitgleich Produzent, Lieferant und Händler.
Jetzt noch die Frage, ob Regional auch Saisonal ist? Dies ist nicht so einfach zu beantworten. Grundsätzlich bedeutet in der Region angebaut nicht, dass der Anbau der Saison folgt. In den Läden bleibt das Angebot ganzjährig fast gleich, während es am Markt doch merklich zwischen den Jahreszeiten abwechselt. Letzteres deutet mir somit eher an, ob etwas saisonal ist. Aber habe ich deshalb weniger Möglichkeiten in der Vielfalt meiner Einkäufe und konsequenter Zubereitung? Wohl kaum, denn Ich brauche für eine abwechslungsreiche Küche nicht das ganze Jahr hindurch alles angeboten. In einem so Varietätenreichen Wochenmarkt wie in Baden werde ich gut abgedeckt: Garantiert ist nicht alles das ganze Jahr erhältlich, aber alles wechselt mit Garantie ab.
Herzlichen Dank der Familie Kessens und Samuel Kessens für seine Zeit und das interessante Gespräch.
Für Interessierte:
www.bruederhof.ch