Die kleinen Stachelkerle sind in unseren Gärten heimisch. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass wir über einen Igel stolpern, der scheinbar Hilfe benötigt. Nicht immer ist das aber der Fall und unser Eingreifen kann dann auch kontraproduktiv sein. Annekäthi Frei, Simon Steinemann und Natascha Fuhrer vom Igelzentrum Zürich haben für Sie die wichtigsten Handlungsanleitungen zusammengefasst.

Ganz allgemein: die beste Unterstützung ist der naturnahe Garten

In der Schweiz ist heutzutage der typische Lebensraum des Igels das menschliche Siedlungsgebiet. Es liegt also auf der Hand, dass wir schon nur mit der Gartengestaltung Einfluss darauf nehmen können, wie es den Igeln geht: ob sie mit Leichtigkeit Nahrung und Unterschlüpfe finden oder eben nicht.

Die englische Bezeichnung für Igel – „Hedgehog“ (Heckenschwein) – weist auf die Tatsache hin, dass Igel ihre Nester gerne unter Hecken anlegen. Auch bodendeckende Sträucher, wildwuchernde Brombeerranken, Ast- und Laubhaufen oder Spalten in Holzbeigen sind einerseits als Nestplatz beliebt und ermöglichen dem Igel andererseits, während seiner Streifzüge bei Gefahr sofort zu verschwinden. Wer also dem Igel etwas Gutes tun will, sollte einen Teil des Strauch- und Baumschnittes liegen lassen oder zu Haufen aufschichten, sowie für weitere Unterschlupfmöglichkeiten sorgen. Vielerorts sind solche Strukturen aber leider verschwunden und sterilen Rasenteppichen gewichen.

Bei der Wahl der Strauch- und Baumarten sollte man auf einheimische Arten setzen: Diese bieten Lebensraum für Insekten und damit wiederum Nahrung für viele Insektenfresser (neben dem Igel sind das insbesondere zahlreiche Vogelarten). Selbstredend macht man den Effekt mit dem Einsatz von Pestiziden zunichte. Ein möglichst sparsamer und punktueller Einsatz von Dünge- und alternativen Pflanzenschutzmitteln ermöglichen ein vielfältiges Bodenleben.
Viele Nahrungstiere der Igel ziehen sich bei Trockenheit auf ungeschnittene Wiesen oder Rabatten und Hecken aus einheimischen Sträuchern zurück. Artenreiche Magerwiesen, Bachböschungen und Krautsäume entlang von Hecken bieten vielen Nützlingen wie Bienen, Schlupfwespen und Laufkäfern einen guten Lebensraum und dem Igel wiederum einen reich gedeckten Tisch.

 

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© Marlen Tinner

Hilfe für zu leichte Igel vor (oder nach) dem Winterschlaf

Nach dem Herbst kommt … genau! Der Winterschlaf. Er dient dazu, den Nahrungsmangel in der kalten Jahreszeit zu überbrücken. Ein ausgewachsener Igel ist ungefähr 900 bis 1‘500 Gramm schwer (bei einer Körperlänge von 25 bis 30 Zentimetern). Ist er gut genährt, hat er eine rundliche Gestalt. Was tun Sie, wenn Sie in den nächsten Wochen einem Igel begegnen, der noch um einiges kleiner und statt rundlich viel mehr länglich ist, mit abgesetztem Kopf und eingefallenen Flanken?
Ein Jungigel sollte im November mindestens 500 Gramm auf die Waage bringen. Liegt sein Körpergewicht deutlich darunter, stehen seine Chancen, den nächsten Frühling zu erleben, nicht allzu gut. Vor allem erst Ende des Sommers geborene Jungtiere sind im Spätherbst oft noch meilenweit von den „matchentscheidenden“ 500 Gramm entfernt. Spürend, dass sie so nicht in den Winterschlaf können, trifft man sie bis weit in den Dezember auf Futtersuche an. Der Hunger treibt die Tiere oft auch am Tag aus dem Versteck. Allerdings ist das Unterfangen meist von Beginn weg zum Scheitern verurteilt. Sofern überhaupt noch vereinzelt Futtertiere vorhanden sind, genügen diese in keiner Weise, um das Gewicht des Igels zu erhalten, geschweige denn zu erhöhen.

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© Igelzentrum Zürich

Der Winterschlaf ist deshalb auch ganz entscheidend mitverantwortlich für die sehr hohe Sterblichkeit von Jungigeln in ihrem ersten Lebensjahr. Auch für Jungtiere mit genügend Gewichtsreserven und erwachsene Igel ist der Winterschlaf eine harte Prüfung: Bis ins nächste Frühjahr verlieren die Tiere durchschnittlich 30% ihres „Startgewichtes“. Trotzdem ist der Winterschlaf ein wichtiger Bestandteil im Leben der einheimischen Stacheltiere. Untersuchungen haben gezeigt, dass Igel, die künstlich vom Winterschlaf abgehalten werden (indem man sie den ganzen Winter über indoor durchfüttert), im Frühling deutlich mehr Probleme unterschiedlichster Art aufweisen als Igel, die normal Winterschlaf halten können. Dies führt zu einer sehr hohen Sterblichkeit von „warm überwinterten“ Igeln.
Wenn Sie nun ab Mitte Oktober einen Jungigel finden, der weniger als 500 Gramm wiegt und Sie dem Tier helfen wollen, müssen Sie sich als erstes mit einer Igelfachstelle (Igelstation oder Tierarzt) in Verbindung setzen. Je nach Gewicht und vorhandenen Optionen sollte er entweder indoor oder an Ort und Stelle – was für den Igel natürlich besser ist, da er in seiner vertrauten Umgebung verbleibt – auf die notwendigen 500 Gramm aufgefüttert werden.
Das gleiche gilt im Spätwinter: Wenn ein Igel zu früh aus dem Winterschlaf erwacht – in der Regel abgemagert und geschwächt – und der Boden noch gefroren ist, überlebt er nur durch Zufütterung, bis der Frühling Einzug hält und wieder genügend Futtertiere vorhanden sind.

Kranker oder verletzter Igel gefunden – was tun?

Grundsätzlich: Melden Sie sich bei einer Igelstation oder bei einem Tierarzt. Insbesondere, wenn der Igel sichtbare Verletzungen hat, ununterbrochen röchelt oder hustet, hinkt oder andere Gangabnormalitäten aufweist. Auch übermässiger Zecken- oder Flohbefall, Milbenbefall, Befall mit Fliegeneiern oder -maden sowie breiig-dünnflüssiger Kot sind Anzeichen dafür, dass der Igel tierärztliche Hilfe benötigt. Ist ein Tier sehr schwer verletzt, bringen Sie es zum nächsten Tierarzt, damit es nicht mehr länger leiden muss.
Nun gibt es auch Krankheitsanzeichen, die weniger eindeutig sind. Bereits erwähnt ist die abgemagerte Gestalt, die auf einen chronischen Appetitverlust hindeutet. Wenn der Igel aber nur abgemagert ist, weil er zu wenig Futter fand (Winterhalbjahr, siehe oben) und ansonsten gesund ist, kann vor Ort eine Futterstelle eingerichtet werden. Ein anderes mögliches Krankheitsanzeichen ist Tagaktivität – aber nicht jeder tagaktive Igel ist krank. Eventuell wurde der Igel an seinem Schlafplatz gestört und sucht sich ein anderes Versteck. Auch gesunde Jungigel sind ab und zu auf ihren ersten Ausflügen tagsüber anzutreffen.

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© Igelzentrum Zürich

Haben Sie jedoch den Verdacht, dass ein Igel krank oder verletzt ist, nehmen Sie ihn mit Handschuhen oder einem Tuch vorsichtig auf. Drehen Sie ihn in Ihrer Hand nun auf den Rücken. Weitere Krankheitszeichen sind ein verminderter Einrollmechanismus, d.h. der Igel macht bei Berührung oder in Ihrer Hand keine klassische Igelkugel, sowie Unterkühlung, d.h. der Igelbauch fühlt sich deutlich kälter an als Ihre Hand. Beim Einrollmechanismus ist zu erwähnen, dass sich gesunde Jungigel oftmals nur halbpatzig einkugeln, weshalb dieses Kriterium wiederum nicht ganz eindeutig ist. Ein krankes adultes Tier ist hingegen in den meisten Fällen schon in einem sehr schlechten Zustand, wenn es sich nicht mehr richtig einkugelt.
In manchen Fällen macht es Sinn, einen Igel ausnahmsweise für eine Nacht mit nach Hause zu nehmen und zu füttern (natürlich nur nach Rücksprache mit einer Igelfachstelle). Da der Igel ein nachtaktives Tier ist, können Appetit und Aktivität nur nachts sicher beurteilt werden. Eindeutige Krankheitsanzeichen sind fehlender Appetit sowie verminderte oder fehlende nächtliche Aktivität.

Wie kann ich dazu beitragen, die Anzahl der überfahrenen Igel zu verringern?

Der Igel leidet unter fortschreitendem Verlust geeigneter, naturbelassender Grünflächen und unter der Zerschneidung seines Lebensraums. Neben kleineren Hindernissen wie Mauern und Zäunen sind es vor allem die Strassen, die ihm das Leben erschweren. Oft stellen sie eine kaum überwindbare Barriere dar. Wegen solcher Schranken kann der Igel benachbartes Gebiet nicht mehr erreichen. Es entstehen kleine isolierte Igelpopulationen, deren Überleben langfristig stark gefährdet ist.
Versuchen die Tiere trotzdem, die Strassen zu überqueren, endet ihr Leben oft unter den Rädern eines Autos. In der Schweiz sterben auf diese Weise jedes Jahr Zehntausende von Igeln. Es trifft vor allem die Männchen während der Paarungszeit, die auf der Suche nach einem Weibchen oft jede Vorsicht vergessen.

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© Igelzentrum Zürich

Fahren Sie vorausschauend und achten Sie gerade auch auf Strassen innerhalb von Dörfern und Städten auf Igel, die die Fahrbahn überqueren. Igel sind nacht- und dämmerungsaktiv; fahren Sie den Sichtverhältnissen angepasst. Versuchen Sie nicht, einen Igel zwischen die Räder zu nehmen, das geht meistens schief. Wenn ein Igel die Strasse überquert, geben Sie ihm, wenn immer möglich, Zeit dafür. Blenden Sie ihn nicht mit dem Fernlicht. Hupen bringt selbstverständlich gar nichts, der Igel erschrickt, überquert die Strasse deshalb aber nicht schneller! Bleibt ein Igel auf der Strasse sitzen, tragen Sie ihn in seiner Laufrichtung über die Strasse und setzen ihn einige Meter vom Strassenrand entfernt vorsichtig ab.

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© Thomas Marent

Was tun mit mutterlosen Igelbabys?

Im Schweizer Mittelland dauert die Babysaison der Igel von ca. Ende Mai bis September. Es kommt leider immer wieder vor, dass einer Igelin etwas zustösst und mutterlose Igelsäuglinge zurückbleiben. Diese machen sich in vielen Fällen durch lautes Piepsen bemerkbar und krabbeln manchmal aus dem Nest heraus.
Angenommen, Sie treffen auf solche Igelbabys: Diese unterkühlen sehr rasch. Legen Sie daher eine mit lauwarmem Wasser gefüllte Wärmeflasche in eine Kartonschachtel und bedecken Sie die Wärmeflasche mit einem Küchentuch. Auf dieses warme „Wasserbett“ legen Sie dann die Igelbabys und decken sie mit einem weiteren Küchentuch vorsichtig zu.
Ab jetzt brauchen die Kleinen Hilfe durch Fachpersonen. Setzen Sie sich für das weitere Vorgehen so rasch wie möglich mit einer Igelstation oder dem nächsten Tierarzt in Verbindung.

Grundsätzliches zur richtigen Hilfestellung

Abschliessend sollen noch drei wichtige Grundsätze festgehalten werden:
Der erste lautet: Es ist gesetzlich verboten, einen Igel einzufangen und nach Hause zu nehmen, ohne vorher Rat bei einer Fachstelle gesucht zu haben.
Der zweite wurde bereits angesprochen: Betreuung durch den Menschen bedeutet nicht zwingend, dass der Igel „in Gewahrsam genommen“ werden muss. Falls möglich, soll der Igel an seinem Standort in freier Natur belassen und dort vor Ort unterstützt werden, z.B. indem man eine Futterstelle einrichtet oder dem Igel bei Winterbeginn ein Schlafhaus für den Winterschlaf zur Verfügung stellt. Denn Igel sind sehr ortstreu und eng mit ihrem Lebensraum verbunden. Jede Zwangsumsiedlung verstört die Tiere zutiefst.

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© Ramon Bachmann

Der dritte Punkt betrifft nicht-fachkundige Fütterung. Leider werden viele Igel permanent gefüttert, obwohl dafür jeglicher Bedarf fehlt. Das Füttern von gesunden, vitalen Igeln ist falsch verstandene Tierliebe. Die Auswirkungen sind oft fatal. Der Igel ernährt sich von Insekten, Würmern und anderen Kleinlebewesen. Mit keinem Ersatzfutter bekommt der Igel die Qualität an perfekt auf seine Bedürfnisse abgestimmten Futterinhaltsstoffen, wie er sie in seinen natürlichen Beutetieren findet. Käufliche Igelfutter eignen sich aufgrund ihrer Zusammensetzung als Alleinfutter in der Regel schon grad gar nicht.
Im Spätherbst und im Winter gefütterte Igel gehen eventuell nicht in den Winterschlaf, was ihren natürlichen Lebenszyklus durcheinander bringt. Jungigeln, die gefüttert werden, nimmt man die Chance, das erfolgreiche Stöbern nach und Erjagen von Futtertieren zu erlernen – womit sie vom Menschen abhängig werden und als Wildtiere langfristig nicht überleben. Verschmutzte Futterstellen sind ein Risiko für Krankheitsübertragungen von Igel zu Igel. Usw.
Es gibt nur wenige Ausnahmesituationen, in denen die fachkundige, gezielte Zufütterung eines Igels in Betracht gezogen werden darf: Wie oben beschrieben, ist die Unterstützung im Zusammenhang mit dem Winterschlaf eine solche Situation, oder aber selbstredend das Aufziehen von Igelsäuglingen, die anders nicht überleben würden.

Links:
Igelzentrum Zürich
Broschüre Igelfreundlicher Garten
Häufige Fragen
Beurteilung des Igels
Erste Massnahmen

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