Es ist ja immer wieder erstaunlich: Mitten im Betonsalat unserer modernen Städte findet die Natur einen Weg, Farbtupfer in die graue Landschaft zu pinseln. Oft muss man etwas Geduld haben, genau hinschauen – und plötzlich zeigt sich die Natur von ihrer schönsten Seite. So geschehen auch am Trafoplatz, auf dem ganz unscheinbar unter Birken und Eichen seltene Orchideenarten diesen Sommer zu blühen begannen. 

Mitten in der Stadt

Wer an den riesigen Pflanztrögen des Trafoplatzes vorbeiläuft, schaut selten unter den Vorhang aus Birken und Eichen. Doch am Boden verbergen sich mindestens drei verschiedene Orchideenarten. Peter Bürki vom Werkhof, der sich schon jahrelang mit Orchideen befasst, identifizierte die Arten als den Braunroten Stendelwurz (Epipactis atrorubens) und die Breitblättrige Stendelwurz (Epipactis helleborine), sowie ein Hybrid beider Arten Epipactis x schmalhausenii. Ein wahrer Naturschatz, denn nach dem Natur- und Heimatschutzgesetz sind alle Orchideenarten in der Schweiz geschützt. Wir haben also mitten in der Stadt eine ökologisch hochwertvolle Fläche entdeckt, welche erheblich zur Artenvielfalt in der Stadt Baden beiträgt.

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Bildquelle: Peter Bürki

Eine spannende Beziehung zu Pilzen

Eine einzige Frucht des Breitblättrigen Stendelwurz kann über 10’000 Samen auswerfen. Da diese mit dem Wind transportiert werden, müssen sie möglichst leicht sein. Aufgrund ihrer geringen Grösse, speichern die Samen zu wenig Nährstoffe für die Keimung. Nun beginnt die heikelste Phase im Leben einer Orchidee. Der Embyo ist nun angewiesen auf Mykorrhiza-Pilze, die mit ihren Hypen in den Samen hineinwachsen. Danach stellen die Ausscheidungen des Pilzes den Kohlenstoffbedarf des jungen Orchideenkeimlings sicher. Der Samen muss den Pilz nun kontrollieren, um nicht überwuchert zu werden. Deshalb werden teilweise ganze Pilzhyphen abgetötet und anschliessend vom Samen verdaut.

Interessanterweise scheinen die Pilze von den Samen angezogen zu werden. Pilzhyphen, die an Samen vorbeiwachsen, treiben seitlich aus und erreichen so den Samen. Es konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden, dass der Pilz eine Gegenleistung für die Ernährung des Keimlings bekommt. Man geht also von einem parasitischen Verhältnis aus. Bei gewissen Orchideen besteht dieser Parasitismus ein Leben lang, wie bei der braungefärbten Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis)Die Stendelwurzarten am Trafoplatz bilden jedoch nach der Keimung photosynthetisch aktive Blätter aus, mit denen sie den Energiehaushalt des Sämlings sicherstellen.

Auch die Birken und Eichen in den Pflanztrögen am Trafoplatz bleiben von den Orchideen nicht unbehelligt. Denn die Orchideen sind auf die gleichen Mykorrhiza-Pilzarten angewiesen, die auch mit diesen Bäumen in Symbiose leben. Es wurde nachgewiesen, dass organische Verbindungen, die aus Bäumen stammen, auch in Orchideen zu finden sind. Das verbindende Netz der Mykorrhiza scheint auch hier tatverdächtig zu sein.

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Bildquelle: Peter Bürki

Woher stammen sie?

Man könnte meinen, diese Orchideen wären bewusst angesät worden. Dem ist jedoch nicht so. Woher sie stammen, könnte zwei verschiedene Erklärungen haben. Einerseits können sich die Orchideensamen über mehrere Kilometer durch den Wind verbreiten. Jedoch sind der Abteilung Klima und Umwelt bis jetzt keine Standorte bekannt, von denen die Samen hätten Einfliegen können. Eine weitere plausible Erklärung liefert auch die Herkunft der Birken und Eichen des Trafoplatzes. Diese wurden von der Dreiseen-Region zwischen Neunburg und Biel nach Baden umgesiedelt.

So könnte das Substrat an den Wurzeln der Bäume mit vielen Orchideensamen versetzt gewesen sein. Die Samen von Orchideen haben die Eigenschaft, jahrelang im Boden zu verbleiben und erst bei den richtigen Umweltbedingungen zu keimen.
Es ist eben nicht nur das Beobachten der Natur, welches Geduld erfordert, sondern auch das Entstehen der Natur selbst. Ein schönes Zitat dazu hat einst Dietrich Bonhoeffer verfasst.

„Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.“

Badens Naturperlen

Die Orchideen am Trafoplatz sind längst nicht die einzigen Naturperlen, die Baden zu bieten hat. Weitere Beispiele wären die Orchideen im Brisgidie Alpenseglerkolonie am Bezirksgebäudedie Fledermäuse des Kappelerhofsder grosse Lindenprachtkäfer auf dem Theaterplatz und viele weitere. Oft sind sie aber verborgen und drängen sich nicht in den Vordergrund. Doch es lohnt sich, die Naturschätze unserer Stadt hervorzuheben und sich für deren Schutz einzusetzen.

Weiterführende Literatur und Quellen

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