Der Grosse Lindenprachtkäfer ist neu auch auf den Linden in Baden zuhause. Deshalb untersuchten Mitarbeitende der Stadt Baden und des Stadtforstamts Anfang März 2024 die städtischen Linden. Dabei wurde klar: Der Grosse Lindenprachtkäfer ist ein gutes Beispiel für die Komplexität des Naturschutzes. Gastautorin Tamica Simmons (Kommunikationsmanagerin, Stadt Baden) berichtet. 

Haben Sie sich die Linden auf dem Badener Theaterplatz schon einmal genauer angesehen? Meine Antwort auf diese Frage war bis vor kurzem «Nein.» Doch seitdem ich bei einer Fortbildung gemeinsam mit anderen städtischen Mitarbeitenden die vielen kleinen ovalen Löcher in den Rinden der Linden zählen durfte, ist es ein enthusiastisches «Ja.» Hinter diesen Löchern steckt nämlich der Grosse Lindenprachtkäfer (Lamprodila rutilans). Ein rot-grün schillerndes Exemplar, das unter Naturschutz steht und erst seit kurzem auch in Baden zu Hause ist. Neben seinem schönen Aussehen und recht seltenem Vorkommen in der Schweiz, ist der Lindenprachtkäfer ein gutes Beispiel für das Spannungsfeld, in dem sich diejenigen bewegen, die den städtischen Bäumen Sorge tragen. 

Die Entdeckung des Lindenprachtkäfers 
Im Herbst 2023 berichtete Barbara Finkenbrink (Naturwissenschaftliche Fachspezialistin, Stadt Baden) im Umweltblog bereits vom Lindenprachtkäfer auf dem Theaterplatz (siehe Geschützte Arten in Badens Baumbestand – wir waren bei der Beweisaufnahme dabei – Umweltblog Baden). Entdeckt hat die prächtigen Käfer – beziehungsweise die Ausschlupflöcher der Lindenprachkäfer-Larven – Werkhof-Gärtner Peter Bürki. Daraufhin wurde im November 2023 eine Untersuchung eingeleitet, um den Bestand auf dem Theaterplatz zu ermitteln. 

Bild 6 Lindenprachtkäfer Loch
So sieht das Ausschlupfloch des Grossen Lindenprachtkäfers aus.

Im März 2024 haben Mitarbeitende des Werkhofs, des Stadtforstamts und des städtischen Kompetenzbereichs Klima und Umwelt nun weitere Untersuchungen angestellt. Sie untersuchten die Linden auf dem Theaterplatz, in der Zwingelhofgasse, in der Weiten Gasse, in der Kronengasse, an der Limmatpromenade und am östlichen Brückenkopf der Hochbrücke auf die Ausschlupflöcher des Grossen Lindenprachtkäfers. Die Anzahl der Löcher gibt einen Hinweis auf die Grösse der Lindenprachtkäfer-Population in Baden.

Die Käferexpertin Adrienne Frei (Dipl. Forstingenieurin) sensibilisierte die Anwesenden bei der Begehung für den Grossen Lindenprachtkäfer. «Ich finde es schön, dass wir in einem so interdisziplinären Team zusammenkommen und uns mit dem Lindenprachtkäfer und seinem Erhalt beschäftigen. Denn man kann nur schützen, was man kennt,» so Adrienne Frei.

Bild 3 Untersuchung Theaterplatz
Käferexpertin Adrienne Frei (Dipl. Forstingenieurin) sensibilisiert die städtischen Mitarbeitenden für den Grossen Lindenprachtkäfer.
Bild 4 Löcher zählen
Die meisten Lindenprachtkäfer-Löcher finden sich auf einer Linde auf dem Theaterplatz. Es sind 291!

Das Ergebnis der Untersuchung: Der Lindenprachtkäfer breitet sich in Baden aus. Der Highscore beim Zählen der Ausschlupflöcher: 291 Löcher an einer Linde auf dem Theaterplatz. Das ist eine erfreuliche Nachricht, doch sie stellt diejenigen vor eine Herausforderung, die die Bäume bewirtschaften. 

Linde versus Lindenprachtkäfer? 
Der Grosse Lindenprachkäfer besiedelt bevorzugt Linden, die eine geschädigte Rinde haben. Die unter Hitze– und Anfahrschäden sowie mangelnder Wasser- und Bodenluftversorgung leidenden Winterlinden auf dem Theaterplatz sind also ein perfektes Zuhause für ihn. Zwar kann der Lindenprachtkäfer nicht als Schädling bezeichnet werden, da seine Frassspuren für alte und gesunde Bäume kein Risiko darstellen. Doch junge und geschädigte Linden wie jene auf dem Theaterplatz, leiden nicht nur unter den zahlreichen Schäden, die ihnen mit der Nutzung des Platzes zugefügt wurden, sondern sie leiden infolge der Besiedlung mittlerweile auch unter dem Lindenprachtkäfer. Während sich die Larven des Lindenprachtkäfers bei älteren Bäumen mit dicker Rinde nur in die Rinde fressen, fressen sie sich bei jungen Bäumen teils auch durchs Kambium und ins Splintholz. Dies schwächt die Bäume und kann sogar zum Absterben führen.

Bild 7 Alte gesunde Linde
Alte Linden wie diese beim Historischen Museum haben eine dicke Rinde mit vielen Furchen, die Lebensraum für diverse Arten bietet.
Bild 8 Geschädigte junge Linde
Diese junge Winterlinde auf dem Theaterplatz weist starke Schäden auf und ist vom Grossen Lindenprachtkäfer befallen.

Artenschutz im Siedlungsraum ist komplex

Bedeutet das also, dass sich die Gärtnerinnen und Gärtner bei der Bewirtschaftung zwischen gesunden Linden und der Förderung der Grossen Lindenprachtkäfer entscheiden müssen? Barbara Finkenbrink erklärt: «Im Siedlungsraum ist es immer eine Gratwanderung zwischen der ökologischen Funktion von Bäumen, Sicherheitsbedürfnissen, städteplanerischen Vorhaben und schliesslich auch den ästhetischen Erwartungen der Bevölkerung.» Die Antwort ist also komplex. Dies insbesondere dann, wenn es sich wie beim Grossen Lindenprachtkäfer um eine auf Bundesebene geschützte Arte handelt. Die Frage nach dem Erhalt und der Förderung des Grossen Lindenprachtkäfers bewegt sich somit im Spannungsfeld zwischen gesetzlichen Schutzverpflichtungen und diversen anderen Bedürfnissen wie städtebaulichen Neugestaltungen, Strassenplanungen oder dem Anspruch, Bäume  wo immer möglich  im Siedlungsraum zu erhalten, auch aus stadtklimatischen Gründen.

Ideal für die Biodiversität wäre es, wenn die städtischen Linden jeweils so gross und alt werden, dass ihnen Schäden an der Rinde und der Befall durch den Grossen Lindenprachtkäfer nichts ausmacht. Doch dem stehen irreversible Schäden an den bestehenden jungen Linden sowie Planungsvorhaben entgegen. Ein Beispiel für letzteres ist die geplante Sanierung des östlichen Brückenkopfs der Hochbrücke durch den Kanton. Mehrere Linden, welche ebenfalls den Grossen Lindenprachtkäfer beherbergen, sind mit der Sanierung am östlichen Brückenkopf von Fällungen betroffen. Der Schutzstatus des Grossen Lindenprachtkäfers erfordert daher bei Bauvorhaben entsprechende Schutzmassnahmen zu treffen, um dem Erhalt der Population gerecht zu werden.

Massnahmen zur Förderung des Grossen Lindenprachtkäfers 
Klar ist: Wenn eine Linde so geschädigt ist, dass sie ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung darstellt, muss gehandelt werden. Zum Erhalt einer bestehenden Population des Grossen Lindenprachtkäfers empfiehlt Adrienne Frei, wenn möglich nur die Krone eines befallenen Baums zu kappen und so den Lebensraum zu erhalten. Muss der Baum gefällt werden, so sollten in der Nähe weitere Linden gepflanzt werden. Das befallene Stammholz kann an einen trockenen und sonnigen Ort gelegt werden, sodass die Lindenprachtkäfer dort weiter gedeihen können.  

Biodiversitäts-Massnahmen wie diese Totholzhaufen werden vom Gärtnerteam des Werkhofs, vom Stadtforstamt und vom Bereich Klima und Umwelt bereits vielerorts umgesetzt (Bspw.: Nisthilfen für Wildbienen, Naturwaldreservat). Oft sind sie mit einem Schild gekennzeichnet und man kann nachlesen, was das Ziel ist. «Die Herausforderung an dem Job als Gärtnerin ist, ganzheitlich heranzugehen – vom Stamm bis zur Wurzel, von der Biodiversität bis zu Stadtplanung,» fasst Werkhof-Gärtnerin Cindy Kruse zusammen. Peter Bürki ergänzt: «Für uns ist die Umweltpflege eine Lebensphilosophie. Wir erleben es eventuell nicht mehr selbst, doch wir legen heute die Grundsteine für kommende Generationen. Die Vermittlung dieses Bewusstseins ist extrem wichtig.» 

Städtische Bäume durch eine neue Linse betrachten 
Als Laiin war mir der Wert von alten und gesunden Bäumen im Groben bereits bekannt: Schatten und Kühlung, Verbesserung der Luftqualität und Lebensraum für diverse Arten. Doch das Beispiel des Grossen Lindenprachtkäfers lässt mich unsere städtischen Bäume nochmals mit anderen Augen betrachten. Auch die verschiedenen Massnahmen zur Förderung der Biodiversität, wie beispielsweise ein Asthaufen im Siedlungsgebiet, werden mir künftig mehr auffallen. Ab Mai werde ich besonders die Augen offen halten, in der Hoffnung, dass ich auch selbst einmal einen Grossen Lindenprachtkäfer entdecke – vielleicht ja sogar auf dem Theaterplatz. 

Grosser Lindenprachtkäfer

Lat. Name: Lamprodila rutilans 
Grösse: 7-15 mm
Erscheinen: Zu finden von Ende April bis August (Höhepunkt ist von Mai bis Anfang Juli)
Entwicklungsdauer Larve: 2 Jahre
Brutbäume: Tilia cordata (Winterlinde), Tilia platyhyllos (Sommerlinde), Tilia tomentosa (Silberlinde) 

So ist der Grosse Lindenprachtkäfer geschützt

Der Grosse Lindenprachtkäfer steht in der Schweiz unter Naturschutz. Er zählt zu den national prioritär geschützten Arten und gilt als gefährdet bzw. verletzlich. 

Der Schutz von «national prioritären Arten und Lebensräumen» ergibt sich aus einer Kombination von nationalem Gefährdungsgrad und internationaler Verantwortung. Insgesamt gelten in der Schweiz 3665 Arten und 98 Lebensräume als prioritär geschützt.

 

Bild 1 Lamprodila rutilans pair
„Der grosse Lindenprachtkäfer schillert in grün und rot.“ (Quelle: Von Siga - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19424015)
Teilen