Für die Artenvielfalt besonders wichtige Bäume, sogenannte Habitatbäume, weisen zahlreiche Strukturen wie abgestorbene Äste, Höhlen, Spalten und Efeubewuchs auf. Warum sie für die Natur so wichtig sind, warum es zu wenige gibt und was das Stadtforstamt Baden unternimmt, um sie zu fördern, erfahren Sie in diesem Artikel.

Vor langer Zeit war ganz Mitteleuropa mit ausgedehnten Urwäldern bedeckt. Meist waren Rotbuchen und Eichen vorherrschend, nur im raueren Klima der Alpen konnten sich Nadelbäume besser behaupten. Entlang der Flüsse wuchsen vor allem Weichhölzer wie Weiden, Erlen, Pappeln und Ulmen.

Heute sind die einstigen Urwälder verschwunden. Doch auch im wirtschaftlich genutzten Wald ist Baum nicht gleich Baum. Denn je nach Standort und dessen Nutzungsgeschichte kommen Baumarten in verschiedenen Zusammensetzungen und in verschiedener Altersdurchmischung vor. Sowie die verschiedenen Bäume wirtschaftlich verschieden wertvoll sind, sind sie dies auch für die Natur. Ökologisch besonders wertvolle Bäume werden Habitatbäume, Wohnbäume oder Biotopbäume genannt. Sie besitzen überdurchschnittlich viele Habitatstrukturen wie abgestorbene Baumteile, Höhlen, Risse und Spalten, Rindenschürfungen, Efeu-, Flechten- und Moosbewuchs.

Diese Nischen spielen für die Artenvielfalt im Wald eine bedeutende Rolle, denn sie bieten zahlreichen stark gefährdeten, spezialisierten Pflanzen, Pilz- und Tierarten eine Lebensgrundlage. Fledermäuse, Vögel und Käfer halten Ausschau nach Bäumen mit solchen Strukturen. Hier finden sie Schutz vor Hitze, Kälte oder Trockenheit, Unterschlupf im Winter, Nahrung oder können ihr Nest bauen. Gewisse Insekten verbringen ihr ganzes Leben auf einem Habitatbaum, ohne ihn je zu verlassen.

Habitatstrukturen sind wichtig für die Artenvielfalt

  1. äume mit Rissen, Verletzungen am Stamm und abgelöster Rinde bieten einen geschützten Lebensraum für zahlreiche Käferarten, Spinnen, Wespen oder Wildbienen. Der aus Verletzungen austretende Baumsaft zieht Käfer, aber auch Hornissen und Schmetterlinge nahezu magisch an.

  2. Bäume mit Höhlen sind wertvoll für zahlreiche Vogelarten, Säugetiere und Insekten. Höhlen werden von Spechten gezimmert oder entstehen, wenn durch eine Verletzung am Baum holzzersetzende Insekten, Pilze oder Bakterien eindringen. In einigen Höhlen findet man Mulm, ein Gemisch aus dem zersetzten Holz und den Endprodukten der Organismen. Die Mulmhöhlen sind ein seltener Lebensraum für Käfer und Pilze oder ein gelegener Unterschlupf für Fledermäuse und Kleinsäuger wie der Siebenschläfer.

  3. Gabelungen von Bäumen in zwei oder mehrere Stämme, sogenannte Zwiesel, sind eine ideale Grundlage für den Bau eines Vogelnests.

  4. Bäume mit abgestorbenen Ästen und Kronen bieten einen wertvollen Lebensraum für wärmeliebende Lebewesen. Insbesondere Kronentotholz zählt zu den bedeutungsvollsten Habitatstrukturen für hochspezialisierte Käferarten.

  5. Viele Greifvögel wie zum Beispiel der Mäusebussard sind standorttreu und benutzen ihre aufwendig hergestellten Horste über eine längere Zeit. Nur bestimmte Bäume eignen sich für den Bau eines Horsts, da sie zwingend eine grosse Krone besitzen und für den Anflug gut gelegen sein müssen.

  6. Bäume, die mit Moos, Flechten oder Pilzen bewachsen sind, haben ebenfalls einen hohen ökologischen Wert. Pilze und Flechten sind die artenreichsten Lebensformen im Wald. Sie bevorzugen alte Bäume mit grober, rissiger Borke. Schräg gewachsene Bäume sind beliebte Lebensräume für Flechten und Moose. An der feuchten Oberseite finden Moose ideale Bedingungen, um zu wachsen, während die trockene Unterseite für Flechten besonders attraktiv ist.
  7. Mit Efeu oder anderen Kletterpflanzen überwachsene Bäume sind als Nahrungsgrundlage, Nistplatz und besonders im Winter als Versteckmöglichkeit für Vögel und Insekten von Bedeutung.

Diese Merkmale entstehen mit den Jahren, so sind sie oft nur bei älteren Bäumen zu finden. Deswegen gilt generell: Je dicker und älter, desto ökologisch wertvoller ist ein Baum.

Habitatbaum M. Ramel nummeriert 1
Habitatbäume sind besonders reich an wertvollen Habitatstrukturen. © Martina Ramel
Habitatbaum zerfallen STFA
Paradieseiche STFA

Naturschutz im Wirtschaftswald

In Naturwaldreservaten und in Altholzinseln werden ökologisch wertvolle Bäume zugunsten der Natur stehen gelassen. Jedoch sind diese oft weit voneinander entfernt. Dazwischen befindet sich Wald, der unter anderem zur Holzproduktion genutzt wird. Um die Ausbreitung der Organismen zwischen den Naturwaldreservaten und Altholzinseln zu erleichtern, sind Habitatbäume im Wirtschaftswald von grosser Bedeutung. Diese dienen als eine Art Zwischenstation, um die Vernetzung zwischen den grösseren Altholzbeständen zu gewährleisten.

Doch leider gibt es in den Wirtschaftswäldern nur wenige Bäume, die Habitatsfunktionen aufweisen. Der Grund ist, dass es sich aus wirtschaftlicher Sicht nicht lohnt, solche Bäume stehenzulassen und vor allem sie altern zu lassen. Entweder kann das Holz der meist dicken Bäume zu einem guten Preis verkauft werden oder der Baum ist ein Konkurrent und sollte gefällt werden, um Platz für wirtschaftlich interessantere Bäume zu schaffen. Die Folge davon ist, dass die meisten Bäume früh geerntet werden. In ihrem natürlichen Lebenszyklus würden sie eine Alters- und Zerfallsphase durchlaufen, in der sie reichlich Habitatstrukturen ausbilden könnten.

Ein Ziel moderner, naturnaher Waldbewirtschaftung ist es darum, Habitatbäume und Totholz auch in bewirtschafteten Wäldern zu erhalten und zu fördern. Um die Vernetzungsfunktion im Wirtschaftswald zu gewährleisten, sind drei bis zehn Habitatbäume pro Hektar nötig. Dabei kommt es aber nicht nur auf die Anzahl der Bäume, sondern vielmehr auf ihre Qualitäten als Habitatbaum an.

Ökologisch wertvolle Eichen

Grundsätzlich können sich Bäume aller Arten zu Habitatbäume entwickeln, wobei aber Laubbäume mehr Habitatstrukturen ausbilden als Nadelbäume. Besonders wichtig für Biodiversität im Wald ist die Eiche. Sie ist diejenige einheimische Baumart, die am meisten Arten beherbergt. Knapp 300 pflanzenfressende Insektenarten sind auf den Laubbaum spezialisiert und komme nur auf ihm vor. Zahlreiche weitere Organismen wie Pilze, Flechten, Moose und Vögel sind ebenfalls auf die Eiche angewiesen.

Dass die Eiche ökologisch so wertvoll ist, hat unter anderem mit ihrer langen Lebensdauer zu tun. Eichen können bis zu 1000 Jahre alt werden und in ihrem langen Leben viele Habitatstrukturen ausbilden. Beispielsweise bietet die stark gefurchte Borke einer alten Eiche vielen Insektenarten einen idealen Lebensraum. Gerade immobile Organismen wie Pilze, Flechten, Moose oder gewisse Käfer profitieren von der langen Lebensdauer der Eiche, die ihnen für viele Jahre ein Heim bietet.

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Der Nashornkäfer lebt auf alten Eichen. Seine Larven entwickeln sich während fünf Jahren in vermodertem Eichenholz. © Pixabay

Von hohem ökologischen Wert sind auch Weichhölzer, wie die Salweide und die Zitterpappel (Espe). Sie sind der Lebensraum von Raupen vieler Waldschmetterlinge sowie von zahlreichen Pilzarten.

 

Projekt „Lebensbäume“

Im Rahmen des Ökosponsorings mit der Bau- und Baustofffirma Merz Gruppe, Gebenstorf erhaltet und fördert das Stadtforstamt Baden seit 2010 Habitatbäume im Badener Wald. Neben der Schulung des Forstpersonals zur Auswahl und zum Umgang mit Habitatbäumen, ist das Informieren der Bevölkerung ein wichtiges Element des Projekts „Lebensbäume“. Auf einem Rundgang durch den Badener Wald können Interessierte 20 besonders eindrückliche Habitatbäume besuchen und sich auf den jeweiligen Tafeln über ihre Besonderheiten informieren. Zusätzlich werden auf dem Rundgang 15 Baumdenkmäler vorgestellt, welche viel Spannendes über die Badener Geschichte und unsere gesellschaftlichen Wurzeln berichte

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