Wir verlieren und verschwenden Lebensmittel en masse: 2.6 Millionen Tonnen Food Waste fallen jährlich an, so die neusten Zahlen des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Zeitgleich wachsen aber auch Gegenmassnahmen, wie die der RestEssBar in Baden.  
RestEssBar 3
Das 2woi an der Gartenstrasse
Ein Rundgang mit der RestEssBar

Es ist Ende April 2019. Ich treffe mich an einem Dienstagabend mit Sarah und Carole an der Gartenstrasse 2 in Baden. Etwas versteckt hinter den Hecken, die das mietbare Eventlokal „2woi“ umgeben, stehen zwei Kühlschränke und ein aus Holz konstruiertes Schrankgebilde. Über der Einrichtung prangert ein PVC Blachen Banner mit der Aufschrift „RestEssBar Baden“ auf pastell-grünem Hintergrund und drei Zwiebeln in schattiertem Grau dahinter. Das Logo der RestEssBar. Auf allen Schränken, gekühlt und nicht gekühlt, sind diverse Infos angebracht. Sie dienen der Anleitung zur Nutzung dieser Anlage, sowohl für die Mitwirkenden als auch für die Konsumierenden. Wie das Ganze funktioniert? Dazu habe ich vorgängig etwas recherchiert und begleite nun die beiden Volontärinnen bei ihrer Essensreste-Sammeltour.
„Wir sind jeweils zu zweit und machen fünf Mal die Woche am Abend eine Tour. Eine Person geht mit dem Handwagen durch die Stadt und eine fährt mit dem Velo und Anhänger an die Mellingerstrasse. Inzwischen sammeln wir bei diversen Detailhändlern die Essenreste ein“, erzählen mir Sarah und Carole. Heute gehen wir jedoch zuerst zusammen in die Stadt, da Moser’s Backparadies eventuell viele Resten hat und ein Wagen nicht reichen könnte.

Eine Tour dauert eine halbe Stunde

Für die Innenstadt gilt es, die Ladenschlusszeiten einzuhalten. Die freiwilligen Essensrestesammlerinnen folgen dazu einem Plan und wir beginnen in der Villa Paul am Theaterplatz. Es ist 18.35 Uhr als wir ankommen, in der Villa hat es heute jedoch nichts übrig. Auch erfreulich. Wir ziehen somit weiter und treffen rechtzeitig bei der Bäckerei Moser’s ein. Dort finden wir den Seiteneingang und die Angestellten bringen sogleich vier Kisten zu uns. Sie erinnern uns daran, dass wir in Zukunft zum Hintereingang gehen können, dort stehe dann alles bereit. Wir tauschen die Menge voller Kisten gegen leere, die wir mitgenommen haben. In den vier Kisten sind diverse Gipfeli, Brote, Weggli, Sandwiches und Süssgebäck. Kein schlechter Fang. Da wir nun doch genügend Platz haben, fährt Carole mit dem Velo an die Mellingerstrasse, während wir uns zum Beck Arnet in der Weiten Gasse beeilen.
Wir sind etwas spät und die Besitzerin ermahnt uns, in Zukunft pünktlich zu sein. Sie bringt darauf zwei volle Kisten, gefüllt mit Sandwiches, Broten, Salaten und Süssgebäck. Inzwischen türmt sich der Kistenstapel im Wagen. Balancierend bewegen wir uns zurück Richtung Gartenstrasse, wobei wir unterwegs noch einen letzten Halt beim Ohne.ch Laden machen. Auch hier ist, wie bei der Villa, nichts übrig geblieben. Stattdessen verschnaufen wir kurz im Ohne und kriegen sogar einen Eistee zur Erfrischung. Weniger als eine halbe Stunde nach Abmarsch treffen wir wieder bei der RestEssBar ein und treffen sogleich auf Carole, die ebenfalls ihre Tour beendet hat. Dass die Tour nur eine halbe Stunde gedauert hat, ist sogar wichtig, erfahre ich nachträglich von Mitgründerin Jessica Ziegler. Denn „die Kühlkette darf nicht länger als eine Stunde unterbrochen werden“. Da wir dies locker eingehalten haben, geht es nun gemütlich ans Einräumen.

Stadttour
Auf Sammeltour: Sarah und Patrick vor dem Beck Arnet in der Weiten Gasse.
Umverteilung braucht Zeit und Effort

Dass all die Freiwilligen, die fast täglich abwechselnd durch die Stadt touren, die Essensreste einsammeln und in der RestEssBar richtig zu Lagern wissen, verdanken sie dem Kernteam hinter der Aktion. Denn bevor die RestEssBar Baden im August 2018 starten konnte, bedurfte dies einiger Planung. Der Auslöser liege bereits zwei Jahre zurück, erzählt Jessica Ziegler, die seit Beginn dabei ist. „Danach das Projekt zu lancieren hat gut ein Jahr gedauert“, sagt die 25 jährige Lehrerin, die auch Mitglied der Städtischen Umweltkomission und der Grünen Baden ist. Was mit einem Veranstaltungsabend zum Thema „Waste“ begann, entwickelte sich nach und nach zur heutigen Resteverwertung durch die RestEssBar. Diese Idee ist zwar inspiriert durch eine in Winterthur entstandene Initiative, die bereits zu 12 RestEssBar-Standorten in der Schweiz geführt hat. Dennoch bedeutete es für die hiesige Gruppe einen grossen Aufwand. Sie gründeten einen Verein, setzten Statuten auf, trafen Abklärungen zu möglichen Standorten, fragten bei Läden zur Beteiligung an und leisteten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit. Nicht zuletzt setzten sich die Vereinsmitglieder eingängig mit den Bestimmung der Lebensmittelbehörde auseinander. Denn die Richtlinien sind streng und erfordern eine gewisse Expertise. So nimmt die RestEssBar zum Beispiel keine Lebensmittel aus privaten Haushalten auf, kühl zu haltende Lebensmittel dürfen nicht länger als eine Stunde ungekühlt sein, heikle Produkte können nicht im allgemein zugänglichen Schrank aufbewahrt werden, sondern müssen von den Helfenden überprüft und herausgegeben werden. Diese wissen denn auch, dass gewisse Lebensmittel, wie Reis, Teigwaren oder Getränke bis 6 Tage nach Ablauf der Haltbarkeit noch herausgegeben werden dürfen, während andere Produkte, wie Fleisch, Gemüse oder Milchprodukte wiederum strenger überprüft werden müssen.
Es ist somit die Aufgabe des Kernteams, alle Richtlinien einzuhalten und diese richtig im Umfeld der RestEssBar einzusetzen.
Inzwischen erfreut sich das Projekt einer erfolgreichen Umsetzung, beteuert Ziegler, „wir haben eine Bekannheit erreicht, gute Medienpräsenz, erhalten Unterstützung in der Stadt und sind mit den richtigen Leuten in Kontakt. Im Moment läuft es gut.“ Die RestEssBar sei gut besucht, sagt Ziegler, auch von ausserhalb interessieren sich Leute dafür, sowohl als Helfende einzusteigen wie auch als Gäste vorbeizukommen. „Diejenigen, die sich gerne an der RestEssBar bedienen möchten, können bei uns einen Code anfordern und danach haben sie Zugang zu den Schränken. Meistens kommt alles weg.“
Mehr ins Bewusstsein treten dürften solche Aktionen dennoch, sagt Ziegler bezüglich der doch nicht einfachen Aufgabe, unsere Lebensmittelabfälle zu reduzieren. „Im Detailhandel fällt mehr an als gedacht. Es braucht vermehrt eine Sensibilisierung der Endkunden“.

Wertschätzung kommt nicht von ungefähr

Sogar als aufmerksamer Einkäufer entgeht mir viel Wissenswertes im Umgang mit Lebensmitteln. Wir scheinen einiges davon definitiv verlernt zu haben. „Meiner Meinung nach ist es wichtig unser Essen, unsere Lebensmittel und wo sie herkommen wieder wertzuschätzen“, sagt auch Jessica Ziegler und plädiert auf ein dringend benötigtes Umdenken. Aus anthropologischer Sicht ist sicherlich die Distanz, die wir als Städter zu den Produzierenden haben, ein wichtiger Faktor dabei. Die Informationen, die wir zu unseren Ernährungsquellen haben, sind tatsächlich nur ungefähr. Wenn ich zum Detailhändler gehe, in einen Beck oder die Metzgerei: die Regale sind gefüllt, das Angebot ist breit und stets präsent. Denn dann muss ich mich nicht auch noch damit auseinandersetzen, dass ich mal nicht das morgens erträumte Znacht kochen kann, nur weil die St.Galler Bratwurst erst im Juni wieder erhältlich ist. Müsste ich aber beim nächstgelegenen Bauer fragen, ob er für nächste Woche zu schlachten plant und dem Metzger das Fleisch zu bringen für die Wurst nach St.Galler-Art, dann bräuchte dies Planung. Und Planung bedeutet aktive Auseinandersetzung.
Wir können vielleicht nicht alle zu jeder Zeit aktiv und bewusst sein, schlicht auch weil viele Informationen nicht sogleich zugänglich und verwertbar sind. Dadurch aber, dass  Menschen, wie diejenigen um die RestEssBar sich damit auseinandersetzen, können wir alle davon profitieren.

In sieben Schritten zu Food-Saving beitragen:

1. Fordern Sie einen Code per Mail an: 
2. Gehen Sie zur Restessbar an der Gartenstrasse 2 und öffnen Sie damit das Schloss am Kühlschrank
3. Öffnen Sie diesen und schauen Sie erst, bevor Sie etwas nehmen
4. Nehmen Sie nur soviel, wie Sie auch essen mögen und Ihnen gut tun
5. Kühlschrank gut schliessen
6. Befestigen Sie das Schloss
7. Kontollieren Sie alle Lebensmittel vor dem Konsum nochmal selber

Die RestEssBar schätzt es, wenn Sie Lebensmittel, die nicht mehr geniessbar sind, zuhause entsorgen.

Diese und weitere Informationen zu wie Sie sich beteiligen können, finden Sie auf der Webseite der RestEssBar.

Umverteilen ist die Zukunft

Dieser Profit findet zugleich auf verschiedenen Ebenen statt: Persönlich können wir uns an der RestEssBar bedienen, während diese uns gleichzeitig für Food Waste sensibilisiert. Zusammen können wir solche Projekte unterstützen und einen Gemeinschaftsnutzen erzielen. Dadurch werden Essensreste nicht fortgeworfen, sondern wieder in einen Kreislauf eingebracht und wenn solche Strategien sich verbreiten und sich weiterentwickeln, dann erwächst daraus eine nachhaltige Lebensmittelnutzung. Im kleinen, wie im grossen Rahmen.
Dass sich diese Aktion bereits nach weniger als einem Jahr lohnt, bezeugt das Kernteam hinter der RestEssBar. Denn sie haben bereits erste Zählungen gemacht, um festzuhalten, wie es läuft. Inzwischen haben die Freiwilligen seit August über fünftausend Lebensmittel eingesammelt und damit einen ungefähren Warenwert von rund zehntausend Schweizerfranken umverteilt. Zusätzlich ist der Ort an der Gartenstrasse zu einem Schmelzpunkt Badener Beteiligung geworden. Denn nebst der Bereitschaft der Geschäfte, die Lebensmittel herauszugeben, finden hier auch andere Dinge zusammen. So sponsert die Müller Bräu die Kühlschränke, die Regionalwerke liefern den Strom dazu, badenmobil finanziert das Velo und nicht zuletzt vereinen sich Menschen vor Ort und darüber hinaus.

RestEssBar 1
Herzliches Dankeschön an das Team der RestEssBar und speziellen Dank an Jessica Ziegler fürs Organisieren meiner Tour und die Hintergrundinfos. An Sarah und Carole auch ein Dankeschön für die Stadtsammeltour.

Übrigens: Die Stadt schreibt im Einklang mit den Umweltwochen den Umweltpreis für Projekte aus, die auf ein gutes und nachhaltiges Leben für alle Badenerinnen und Badener abzielen. Wer also eine Idee hat, wie die der RestEssBar, kann sich hier auf dem Umweltblog zum Wettbewerb informieren und sich per Formular anmelden. Wer sich noch weiter inspirieren lassen möchte, was in Baden noch so alles passiert, liest am besten gleich weiter.

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